möglich
Publiziert am 17. Juni 2019 von Richard Gleim (aka 'ar/gee gleim')

Die politische Aussage von Punk bestand nicht darin, politische Grausamkeiten
zu benennen und zu verdammen, sondern darin, unabhängig davon sein eigenes Ding zu machen,
 und so über den Dingen zu stehen und zu handeln. Das versuchen meine Bücher zu erinnern.
Darin besteht auch deren Wert. Ein häufiger Ausruf der Betrachter dieser Bücher ist: “
Verdammt, ich bin in der falschen Zeit geboren!“
Welchen Schluss ziehen wir daraus, dass hier gezeigt wird, dass etwas möglich ist?

in memoriam: Genesis Breyer P-Orridge ( zitiert aus 'TG CD1', Mute, 1986)


 
 
 
 


----------------------------------------------------------pourquoi de paix?----------------------------------------
erschienen in: "HANDBOOK OF FUN", 1983

alltag. arbeit. nie endende sounds. oder plötzlicher abbruch. prinzip der unvollendeten arbeit.
misstimmungen-spannungen-aggression. überführung der hochindustrialisierten geräuschewirklichkeit
auf den tonträger. abhörtermin ist die freie zeit. manipuliere alle deine tonbandaufnahmen aus den
letzten 10 jahren. jage sie durch das grösste echogerät das du findest. verstümmele alle deine
veröffentlichten mitteilungen. auf einmal tritt das vertraute als scheinbar neues unabhängiges und
fremdes auf. und produzent und produkt stehen sich gegenüber. die kongruenz von verfremdung
und entfremdung stellt sich ein ohne im ästhetisch-künstlerischen bereichen zu verharren. der blick
wird frei für den alltäglichen vorgang der uns eh schon zur gewohnheit wurde: produzierte waren
verweigern sich der menschlichen selbstverwirklichung. verhältnis zwischen erzeuger und produkt
gestört. maschinenmusik als verhältnis der störung von und zwischen.

"der zustand einer allumfassenden, quälenden monotonie wird erreicht...wie lange diese noch bestand
in der musikszene hat und wie lange wir das noch in kauf nehmen sollen, bleibt abzuwarten...denn,
allen ernstes, wer kann sich dafür schon richtig begeistern?" (j. ody, in: SPEX 6/83)

gute unterhaltung. oder willste oder kannste uns nicht verstehen? eh, du: ich pack das mit euren
geräuschen einfach nicht. macht mich echt nicht an. verstehste? scheiss intellektuelles pack.
erstmal gute musik mit SPASS machen und dann kannste nochmal kommen. pulsierendes
industrieleben. die assoziation von bewegung stellt sich ein. "slow motion is better then no motion".
gerät zur überzeugten affirmation der technischen monotonie. kurz: maschinenstürmer sind reaktionär.

----------------------------------------------------------pourquoi de paix?----------------------------------------
 
 


------------------------------------------------------------------------why the world's wild about madonna----------------------------------------

erschienen in: "HANDBOOK OF FUN", 1983

wir brauchen das glas und wir brauchen die milch. endlich wird alles gesagt werden. NICHTS.
es ist zu betonen: nichts wird länger verschwiegen werden. ja CHA CHA CHA.seit LECTURE ON NOTHING
hat der begriff der avantgarde noch eine weitere dimension. soweit die füsse tragen. langsam bewegen
wir uns nirgendwo hin. monotonie. monoton. reflexive schlaufen. kulturindustrie. eine musik aus dieser
zeit muss mit den wirklichkeiten verzahnt sein. nicht nur mit der einen. deine blauen augen machen mich
so sentimental. unserem aktuellen südafrika-bericht folgt jetzt die neue scheibe von bruce springsteen.
plagiate erobern die welt. im augenblick ist das aber noch viel SPEKULATION. spielen wir also die
töne unserer realitäten. konstruktion als methode. konstruktion der fremden realitäten. REKONSTRUKTION
ist was für BILD leser. reduktion des alles. negation des alles. überleben bis zum sterben als zielvorstellung.
verringern wir doch die möglichkeiten. MUSIK MUSIK MUSIK mein ganzes leben ist MUSIK. gestern
kam post aus der türkei:***********+++++++++++**++++++ zum beispiel wäre da noch der 25jährige
peter s. aus frankfurt. er will jeden abend seine sportsendung und die tagesschau sehen. seine tageszeitung
und ab und zu ein GUTES buch lesen. wer keinen schmerz mehr spürt. wir sinds zufrieden. und wirklich:
es stimmt: wir nehmen alle töne. für holisten gibts weisses rauschen. nehmen alle die uns nicht gefallen
heraus (selektion). anderer ansatz: benutzen gerade jene die von DENEN/IHNEN ausselektiert wurden.
das wärs. gut dass wir mit diesen verfahrensweisen nicht allein sind.aber selbst davor haben wir keine angst.
dauernde enttäuschung von erwartungen führt eben zum verlust der mitgliedschaft. für politiker und
bürokraten genügt der personalausweis. die EINSAMKEIT DES AMOKLÄUFERS entlarvt sich als nicht
nur theoretisches konstrukt. wir wollen ihre KULTUR nicht. wer schläfrig ist soll schlafen. kulturindustrie
hat was mit popmusik zu tun. musiker sind handwerker. diamantenschleifer deren rebellisches gehabe
zum publicity-effekt degradiert wurde.fallbeispiele en masse. kaum zu glauben dass mit nachdruck am
development der künstlichen intelligenz gearbeitet wird. verstand wird backstage aufbewahrt und
wieder schmiegt sich die menschliche psyche (saugend) an den knall der bass-drum.

------------------------------------------------------------------------why the world's wild about madonna----------------------------------------


 


-----------------Best soap you eva bought (bsyeb) !!-----------------------------------------------

erschienen in: "HANDBOOK OF FUN", 1984

Karl wünschte nichts sehnsüchtiger als seine Musik einmal im Radio zu hören.
Während sein Mercedes über die österreichische Staatsautobahn eilte, summte er
leise vor sich hin. Einen Fuss in der Tür haben. Karl hörte die sonore Stimme des
Sprechers und blickte verwundert auf die Tankanzeige. Aus den Lautsprechern
quoll jene erregende Mischung aus Spass, Freude, Unterhaltung und Information...Sea Wanton at the rehearsal room

-----------------Best soap you eva bought (bsyeb) !!-----------------------------------------------
 
 
 


--------------------------------------------der neueste trend---------------------------------
 

erschienen in: "HANDBOOK OF FUN", 1985

RUDY-PRO-TY, der Kontaktmann von COMPACT CASSETTE ECHO, meinte einmal dazu lakonisch,
dass er sich schon lange nicht mehr für Musik interessiere. Das Dilemma des "NUR" Musikers,
sich in einer Welt wohlzufühlen, die nur noch Nischen für positive Gefühle bereithält, lässt sie
(=die Musiker) diese umso radikaler besetzen. Einen (und mindestens einen) Schritt weiter
also gehen jene, die dokumentarisch die Geräusche zur Zeit festhalten, die darin ihre Aufgabe
sehen. Oder, um es zu konkretisieren: alles was wir von unserem Leben jenen überlassen, die
damit nur ihre Geschäfte machen wollen (und die vor ein paar Jahren statt am Mischpult am
Computer der Commerzbank gelandet wären), ist verloren - ist eingeflossen in dieses ganze
Unterdrückungssystem von Politik, Wirtschaft, Werbung, etc. Des Ausverkauf des Trends
heisst für ihre Ideologen Verrat. Für die Beteiligten ist es die Selbstaufgabe. Nicht vieles
mehr ist peinlicher als die (gut genährte) Illusion, dass im Pop-business was auf
Persönlichkeitsentfaltung gegeben wird. Der Herrschaftsapperat kontrolliert seine Zöglinge.
Also auch in dieser Branche, in der Rebellion zum publicity-effekt verdammt ist.
Warum willst du also wissen wofür du bist, wenn du weisst, dass du dagegen bist?

--------------------------------------------der neueste trend---------------------------------
 
 

--------------------------------------fragmente zum medium: warum ich auf c-20 steh----------------------------------

erschienen in: "HANDBOOK OF FUN", 1982

orginal text (seite 1) (pdf file)
orginal text (seite 2) (pdf file)
orginal text (seite 3) (pdf file)
orginal text (seite 4) (pdf file)

"kein zurück-mikrochip". die angeschnittene. immer wieder verdrängte. medienfrage. und ihre implikationen:
integration bis zur letzten instanz. punk macht dicken arsch. "let's lynch the landlord"( THE DEAD KENNEDYS).
die cassette. ihr markt. ihr simulierter markt. XAO (SEFFCHEQUE)'s aberwitz und kein trost. SPEX zieht nach.
subversivität und resignation. vinyl gegen band. BASF gegen BASF. industrie plus kapital. plus bürokratie.
der künstler wird gemanaged. manager to manage management. kunst. musik. der
kulturindustrie. "total verplant". faktorialanalyse. panel. trend. hochrechnungen. würden sie dieses waschmittel
gegen eine flasche coke tauschen ? 30 % unter 18. arbeiterschicht. achtzig komma drei prozent. nein. zielgruppe
identifiziert. umsatzsteigerung als subziel. expandierendes schallplattenunternehmen sucht dynamischen hardcore.
totgeiles betriebsklima. marktanteile in süddeutschland zurückerobern. waltz swindle. foxtrott swindle.
rock'n roll swindle. punk swindle. bier wird teurer. ihr aufgabengebiet: konzerne
und der imperialismus. gleich kundenbetreuung. "I am an anarchist. I am an anti-christ" (THE SEX PISTOLS).
...la la la. WELTREKORD. im punk for sale. die BEATLES waren da ehrlicher. aber man sieht: am besten verkauft
sich immer noch die eigene sache. "im jetzt stillstand". trendhafte mode dialektisch gewendet: modischer trend.
kommt das gut so oder kommt sehr gut sehr gut kommt sehr gut? nettleute und lachmenschen approximieren
sich den no funs. oder ist es etwa umgekehrt? subversivität ist vorbei - der schwung ist halt raus.
"we're only in it for the money" (THE MOTHERS OF INVENTION). schönen gruss vom flower-punk.
zur zeit. musik. turn your plattenspieler on. EMI ist die wahre alternative zu ZICK ZACK. Und nochmal
RUBEN's kommentar : musiker sind dumm, faul und habgierig. verhältnis rock-business und kreativität:
symbiotischer bewusstseinsmangel erwünscht. mehr exhibitionismus. es geht um ihre persönliche existenz.
genug andere warten auf diese chance. ego rule: ok ! musiker als beruf. arbeiter als beruf.
"riot riot I wanna riot" (THE CLASH). und das ohne rücksicht auf verantwortung. der beste wird gewinnen.
liegt derendorf nicht neben dem WORLD TRADE CENTER? keine rücksicht auf verluste. das ganze war
doch nicht unsere sache. wir ziehen unser eigenes ding durch. alfred ist ein schwein. wir stehen schon
wieder im "nd" (=NEUESTES DEUTSCHLAND) !!! taucht die frage nach systemen und subsystemen und
deren hierarchien auf. subsysteme auf  subebenen innerhalb der systemhierarchie und ihre aufgaben für's
ganze. reduktion von komplexität findet nicht erst bei "Funk"-musik statt. will heissen: "musik musik musik.
mein ganzes leben ist musik" (NON TOXIQUE LOST). gibt es einen mitleidserregenderen zusammenhang
als den zwischen kultur und organisation der "Rock"-musik? "kein zurück". verwaltung von "Rock"-musik
ist die verwaltung von zwanzigtausend hamburgern und ihren produzenten. und dann die arbeitsteilung.
substituierbarkeit als wichtigster indikator für flexible systeme. "And the Beat goes on" (SONY AND CHER).
"satellit". business as usual. auch nach heroin-tod. cassetten als sprachrohr der kinder. und dabei gibt's die
NDW doch gar nicht mehr. jetzt zur gliederung der argumente: wer soll denn an cassetten was verdienen?
radiowerbung ist angesagt. "EEEES GEEEEEHT VOOOORAN" (FEHLFARBEN). plötzlich: wieder die
medienfrage. was hat die platte mit hörfunk und tv zu tun oder: wie bringt man sich in eine radiosendung
wie "ROCKPOP"? kunst ist allemal gefragt. "Modern gemacht". kultur. system und/oder materialismus
als theorie. frage nach basis/überbau/reziprozitäten/ideologien/religionen/gewalt und tabu. der
fetischcharakter des porsche "TARGA" bleibt wenigen verborgen. PSYCHIC TV und WEA.
knete heisst das tauschmedium der 80er Jahre. neue kommunikationsformen waren doch angesagt !
"im jetzt konsum" deshalb die erkenntnis: POST-PUNK. es ist nicht mehr 77. hurra ! wir haben verloren,
aber wir wissen nicht ob. das unmögliche wurde möglich. aber das mögliche wird immer unmöglicher.
die provinz hat nachholbedarf. auf theoretisch höherem niveau liegen gedanken über META-PUNK.
reflexive schlaufen durchdringen simulierte simulationen. man hat die qual der wahl: deterministisches
vs. indeterministisches, statisches vs. dynamisches, rekursives vs. interdependentes oder offenes vs.
geschlossenes system. wenn wir uns nur verstehen könnten ! Punkt 2. CASIO und die produktion von
registrierkassen. analog/digital denken. sprechen. aber was tun? zugewiesene freiräume sind alsbald zu
okkupieren. die beste band erhält einen schallplattenvertrag. und das ist euer neues image zum anziehen.
"nehmt euch was ihr braucht". OI OI OI...."personal space" ist was anderes als freiheit. der erste taugt
vielleicht für ratten. die zweite und die plattenindustrie sind ein anachronismus. aber ihr antagonismus
bleibt zu vielen verborgen. und die die ihn sehen,kämpfen ums überleben. drei griffe braucht der punk:
bewältigte vergangenheit. sie sollten in ihrem job FORTRAN, COBOL und ALGOL zumindest in
grundzügen beherrschen. nicht vergessen: computer rechnen unglaublich schnell. Das programm der
zukunft ist jedoch menschensache. "she ain't a human being. no future...for you" (THE SEX PISTOLS).
bis gestern waren es die tiere. aber aufrechter gang ist zuwenig. feierabendmusik. NEW WAVE für den
progressiven teil der rock-jugend. unerhört wichtiges konsumpotential. schreiben sie uns doch einfach
mal die platte, die sie hören möchten. musikprogramm für dich, der du formen den inhalten vorziehst.
netzwerk verketteter kausalitäten. The WIRTSCHAFTSWUNDER träumen vom ruhm. Wann kommt
die tour durch die DDR? Jetzt geräusche von cassetten auch über

den äther. STRAUSS und ZÜNDFUNK: laisons dangereuses. in bayern kann man wirklich nur
urlaub/ferien machen. ach ja: die welt ist überkomplex.die cassette...bla...bla...ist schnell...bla...bla...
schneller als die schallplatte...erheblich preiswerter...blabla...kein mensch soll sich auch wochenlang in
miefigen studios rumtreiben. ARIOLA ist viel schneller. das gegenteil wäre erst noch zu beweisen.
oder warum liebäugeln die alternativen/unabhängigen vertriebe mit dem computer? POLYDOR ist besser.
effektiver. und. und. und. was also ist eine welle? MAU MAU und die reproduktion von systemen.
"Rock"-mechanismen sind zu ritualisieren. nur nicht untergehen! verrückte zeiten: dreiklangsdimensionen.
"DAS FLEISCH" wurde mit einem diktiergerät aufgenommen . Fortsetzung: wann? punk in deutschland ist
reaktionär und falsche freunde gibt es überall. in berlin gibt’s senatsgelder für anarcho-bands, die versprechen
nichts damit zu tun haben zu dürfen. Die ersten acht des wettbewerbs dürfen dann auch eine single produzieren.
musik und lärm. lärmen mit bewusstsein. musiker reden vom "drauf schaffen". MAX GREGER sollte endlich
mal von CLARA (DRECHSLER) interviewt werden. der musikbegriff. "nehmt euch was ihr braucht im neonlicht".
jeder "cassettino" träumt vom plattenmachen. es gibt gute ideen und schlechte. und es gibt leute die sagen,
dass es jetzt ENDLICH voran geht (monotonie. monoton. reflexive schlaufe. kulturindustrie) und meinen damit:
MITTAGSPAUSE - nie was von gehört !. PLASMATICS  - voll ok ! voll lustig finden manche punks - aber
nur manche. ich mag PETER ALEXANDER. da bleibt nichts verborgen. die wahl ist keine qual. die wahl für
oder gegen die cassette ergibt sich aus den nachteilen des plattenmachens. für die meisten. da wäre aber auch
noch zu sprechen von der menschlichen arbeitskraft als ware. dem zugriff der monopole auf individualität und
selbstverwirklichung. acht stunden hat die arbeit. kultur dann den rest. manche treibens umgekehrt. so und
jetzt wollen wir 'mal eine anständige analyse machen.

nachtrag:
"vergnügtsein heisst einverstandensein...vergnügen heisst allemal: nicht daran denken müssen, das leiden
vergessen, noch wo es gezeigt wird. ohnmacht liegt ihm zu grunde. es ist in der tat flucht, aber nicht wie es
behauptet, flucht vor der schlechten realität, sondern vor dem letzten gedanken an widerstand, den jene
noch übriggelassen hat." (ADORNO / HORKHEIMER, 1944)

nachtrag:
"ich wiederum hielt immer schon sehr viel von MARX - der bekanntlich kein marxist war - und sehr wenig
von marxisten: im unterschied zu diesen war MARX eben anders und weiter." (J. STENDER, 1983)

CALLBRINI meint dazu: long live the BKA. BASF for president. mehr speicherplatz für jeden. Jedem
sein bit auf den grossen tapes in wiesbaden.

Nachtrag zu den nachträgen:
c-0, c-1, c-2, c-3, c-4, c-5, c-6, c-7, c-8, c-9, c-10, c-11, c-12, c-13, c-14, c-15, c-16, c-17, c-18, c-19, c-20

;viel spass beim zuhören
.
     tapes = tapes +1
     if (tapes - 90.)  5,10,30,60
20 stop
     end
 

--------------------------------------fragmente zum medium: warum ich auf c-20 steh---------------------------


-------
monotonous
           industry of cultures
      fight   folgt uns
distrust
             tout a remettre
le jeu
kontakt
 
 

----------------------------------------------------------in einem (at the same time)-------------------------------------------------

unveröffentlichtes "HANDBOOK OF FUN", 1984

1984.
Ist Zukunft und Vergangenheit in Einem. Wenn Orwell beschreibt, dass sich die Beiden noch
einmal begegnen (zum Schluss) und er bemerkt, dass sie ein Bein leicht nachzieht: so machen
uns die grössten Führer aller Zeiten also immer noch gefügig. Nur die ehemals Liebenden erkennen
das leise Schlurfen der Schritte. Die zerbrochenen Träume sind also noch kein Thema?
 

----------------------------------------------------------in einem (at the same time)-------------------------------------------------
 

                               statement 2001_02

                               der morgen heute war wie viele andere morgen vorher. die schnoddrige stimme
                               aus dem lautsprecher begann mit dem spiel und das plappermaul nebendran
                               irritierte nicht nur den kandidaten am telefon. der musste immer den familien-
                               namen seiner schwester brüllen bevor er die antwort sagen durfte
                               (bedepperte clowns dödeln am handy rum - frei nach DER PLAN).

                               alle systeme funktionieren ohne besondere auffälligkeiten. stelle ich an mir fest.
                               im tv spricht ein redner vor dem bundestagsplenum.

                               mittendrin sagt er: "...dann haben sie wohl ein gestörtes verhältnis zur demokratie"
                               und wirklich: er starrt mich scharf und durchdringend an. ich warte darauf dass
                               jetzt endlich das spiel beginnt. ich will aus vier möglichkeiten auswählen
                               (nämlich die einzig richtige) und dann mit viel viel geld beliebt werden. am besten gleich millionär werden.

                               während mir noch der gedanke kommt dass die gebühren für die sender der
                               öffentlich rechtlichen sendeanstalten nicht einmal zur bezahlung der klofrauen
                               vom ZDF reichen kann begreife ich den politischen
                               hintergrund der aussage (im tv).

                               mein verhältnis zu dem was die da an demokratie präsentieren ist
                               PROBLEMATISCH.

                               will da etwa jemand dass ich an etwas glaube was: eh ??? es garnicht mehr gibt?
                               oder gibt aber es nicht so ist wie es sein sollte? oder eben nicht besser gibt und man muss
                               das denn so aktzeptieren um noch
                               einen grossen stück des kuchens abzubekommen?

                               kommt also der lange arm des volksvertreters aus der mattscheibe geschossen.
                               seine finger krallen sich um meine gurgel:
                               "das was du siehst ist DIE DEMOKRATIE".
                               ich aber wehre mich und stöhne:"und was war mit der deutschen demokratischen republik,
                               mit der demokratischen volksrepublik
                               china und den vielen vielen anderen demokratien?

                               blickt er mir tief in die augen. mir schwinden schon die sinne. irgendwo hinter
                               ihm hebt der saaldiener eine tafel hoch auf der der nächste termin für die
                               bundestagswahlen gross mit kreide eingemalt ist

                               warum schreist du nicht ?
 
 

--------------------------------pop ist peep ------------------------
GEN 82 (1984)
das management in der kulturindustrie ist nicht gerade blöde *
musik als droge in diesen seltsamen zeiten macht selbst dem
wildesten revoluzzer die welt wieder verträglich *  im vertrauen:
mancher übungsraumbassist träumt davon einmal mit TINA auf
der bühne zu stehen * und in wackersdorf baut man mit an
einem hüttendorf * im concert stehen wir seite an seite mit bullen
des fjs und johlen für einen encore * weisheit: das leben ist hart *
pop hat was mit musik zu tun * das dürfte bis hierhin deutlich
geworden sein * an irgendetwas muss der mensch ja glauben
beliebte meine mutter immer zu sagen * wir vertrauen auf den
langsamen fortschritt durch BAND AID & BOB DYLAN &
CBS & WEA & POLYDOR & COCA COLA (video) *
und künstliche intelligenz bedeutet fortschritt und
fortschritt ist intelligent weil (SYSTEM)- erforderlich *
und tina ist SCHWARZ und stimulierend *
pop ist peep *
--------------------------------pop ist peep ------------------------
 
 


---------------------------------------------------------kreuzzug----------------------------
   Bernhard von Clairvaux (1146)

        "es wankte und bebte die Erde weil der Gott des Himmels begonnen hat sein Land zu verlieren.
        Sein Land sage ich, in dem er gesehen wurde und mehr als 30 Jahre als Mensch unter Menschen weilte.
        Sein Land, das er durch seine Wunder erleuchtet hat, das er durch sein eigenes Blut geweiht hat, indem
        die ersten Blüten der Auferstehung sich zeigten und nun haben unsere Sünden bewirkt, dass Feinde
        des Kreuzes ihr gottloses Haupt erhoben haben und mit offenem Schwert das gepriesene Land, das Land
        der Verheissung verwüsten. Wenn keiner da ist, der sich widersetzt,  ist es nicht mehr fern, dass sie sogar
        in die Stadt des lebendigen Gottes eindringen, die Stätten unserer Erlösung zerstören, die heiligen Orte
        besudeln, die getränkt sind mit dem Blut des unbefleckten Lammes. Was tut ihr tapfere Männer?
        Was tut ihr Diener des Kreuzes? Gürtet euch mannhaft und ergreift im Eifer für den Christennamen die
        heilbringenden Waffen. Wenn du ein kluger Kaufmann bist, dann prohezeie ich dir reiche Märkte.
        Lass sie dir ja nicht entgehen! Nimm das Zeichen des Kreuzes und sogleich wirst du für alle Sünden,
        die du reuigen Herzens beichtest, Vergebung erlangen..."

---------------------------------------------------------kreuzzug----------------------------
 
 
 


------------------------------------Vom grossen Elektro-Boom und der Entpolitisierung des Pop-------------------

"...sämtliche in den neuen Elektrosound interpretierten Subversionsmodelle...werden fragwürdig
überschattet von einer allgemeinen Euphorie, endlich so übercodiert sein zu dürfen,
dass man als Musiker nichts mehr zu sagen braucht: Sound-Euphorie ist in den meisten Fällen
hörbar verbunden mit dem befreienden Aufatmen der Musiker, die es schon lange leid gewesen
sind, sich als revolutionäre Subjekte verkaufen zu müssen, um auf dem Markt der Subkulturen
anerkannt zu sein. Die inzwischen über Sound und Ästhetisierung wiedererlangte Freiheit des Pop,
von Politik nicht mehr sprechen zu müssen, verstösst den Glauben an ein Subversionsmodell Pop
endgültig in vermeintlich überwunden geglaubte, vermeintlich als peinlich gehandelte Epochen.
Über Coolness, Sophistication und Style haben sich da Werte etabliert, die schlimmstenfalls zynisch
werden, wenn sie die Autonomie ihrer Kunst als Garant für deren Subversion erklären. Als
beliebiges Nebeneinander und Durchdringen von Minoritäten, hat Pop ... das Geflecht erreicht,
in dem Macht und Herrschaft sich verflüchtigt haben, ohne jedoch real verschwunden zu sein -
sie sind vielmehr eingetaucht, versickert zwischen den Plateaus..."

Martin Büsser: Listen and repeat! Vom grossen Elektro-Boom und der Entpolitisierung des Pop,
aus: Testcard 3/1996, S. 143

------------------------------------Vom grossen Elektro-Boom und der Entpolitisierung des Pop-------------------
 
 
 


-------------------------------------------------------half dark room------------------------------------------------------------------
Sea Wanton (2004)

Über die Möglichkeit der Verweigerung zu denken, heisst auch dafür auch
Verwirklichungsszenarien zu kreieren. Schon in 1984 / 85 entwickelte ich mit dem
Konzept des "half dark room" eine Möglichkeit, die Einstellung der "industrial"
Band NON TOXIQUE LOST gegenüber dem Kulturbetrieb, insbesonders dem
Massenkonsum im Musikbereich, zu konkretisieren.

Die Idee einer solchen "live" Präsentation wurde zuerst im NTL eigenen "fanzine"
"HANDBOOK OF FUN" veröffentlicht. Die Umsetzung der Idee sollte allerdings
erst dann erfolgen, wenn auch der unten zu lesende Text von "half dark room" als
sog. "song" konstruiert worden war. DEN Zuhörer in den Bann ziehen: die Idee.

Notwendig wurde dieses Vorgehen, nachdem nun endgültig feststand, dass "Punk"
als Lebenshaltung verkommen war zu Äusserlichkeiten, Effekthascherei und
"STERN"-titelblattpose und ein Grossteil der Musikkonsumenten stattdessen die
Glamourwelt der "Rock"- Stars wieder sehnsüchtig in die auseinandergebrochene
Musikwelt zurücknahm.

Geblieben in der Einnerung ist mir da jene Schlagzeile in einer der führenden
Musikzeitschriften (vielleicht NME ?): "WHY'S THE WORLD WILD ABOUT
MADONNA?"  Und ich erinnere mich an Karl, der eintritt, vergisst, sich einlässt auf
sich selbst und Wichtiges wahrnimmt. Zeit und Ort sind unbekannt.
 

half dark room (veröffentlicht: 1984, text: Sea Wanton)

the personal perception (wahrnehmung):

als karl in den halbdunklen raum eintrat vergass er die endlosen menschenschlangen.
ein runder tisch wie leergefegt im konturfreien raum.19 gestalten davor auf ihren
stühlen. vom himmel schlängelten sich dünne kabel und endeten in den
headphones. auf den köpfen der figuren.er trat an seinen (noch FREIEN) platz. zog
sich den hörer herab und beobachtete NON TOXIQUE LOST. währenddessen zwang
SEA WANTON seine maschinen ihr innerstes herauszuwürgen. der raum war
totenstill. nur das scharren seiner füsse erinnerte ihn an seine welt. unzählige
fotografien am horizont wiesen darauf hin dass die models nicht zu füttern seien.er
starrte auf  deren schlanke zarte finger. der lärm tobte in seinen ohren. seine hände
klatschten den takt zur zukunft. zusatz: ort und zeit sind unbekannt. Bänder und
synthesizer erzeugen töne. Headphones tragen sie zu den ohren. ist es musik ?

the idea behind the perception (die idee):

"half dark room" ist ein konzept um NTL musik live zu präsentieren. gedacht dabei
ist an einen raum, der die verbindung zur aussenwelt über exakt einen zugang behält.
im raum bewegen sich die mitglieder von NTL, währenddessen 19 schaufenster-
puppen in ihren stühlen verharren. ausgehend von einem zentralen mischpult, werden
unzählige kopfhörer mit klängen gespeist. diese sind zum teil auf den köpfen der
puppen plaziert. andere wiederum hängen von der decke herab. währendessen spielen
NTL ihre musik direkt in den mixer ein. es findet keine akustische verstärkung der
töne statt. das publikum darf zu jeder zeit aus exakt nur 1 person bestehen. diese darf
sich im raum beliebig bewegen, die kopfhörer probieren, mit den  musikern
kommunizieren, etc. somit werden den partizipanten des konzerts gelegenheiten zu
interaktionen gegeben. verlässt der teilnehmer den raum, wird die nächste person
eingelassen. "half dark room" ist die verweigerung an massenpublikum, unplugged
nostalgie und kommerz der rockmusik. ein wiederfinden von interaktion und
neugierde.


---------------------------------------------------porque ?-------------------------

Frau Kuttner ist echt verwirrt. Jedenfalls behauptet sie dies von sich selbst
in ihrer tv-Sendung vom 26.9.05, MTV, Deutschland.
"Man muss immer aufpassen mit Schubladen", sagt sie. "Wie hiess die Sendung nochmal" (fragt sie sich und
ihr Publikum, schaut dabei dümmlich glotzend, frech/frisch/frei/jugendlich in die führende Kamera)? "Egal..."
(so ihre eigene Antwort - hat die eigentlich Religionswissenschaft studiert oder ist sie 'ne echte Existenzialistin?)
"Ich schwöre bei Allem was mir heilig ist..." (lange Pause...das Publikum lacht - klar, da merkt selbst der
letzte Zuschauer, dass da NICHTS heilig sein darf/kann/soll - also doch NICHT KATHOLISCH ? -
etwa doch was mit DADA-ismus am Hut oder etwa bei Radio "FRITZ" was anständiges gelernt?).
Und sie quaselt dann weiter und nur Mist, albernes und dümmliches Zeug und nichts von Relevanz.
Heisst die wirklich SARAH KUTTNER? - "Amöbe" würde besser passen !!

Dann macht Frau Kuttner sog. "Witze", indem sie irgendwelche Menschen in der BRD anruft
und was "bescheuertes", hmmm, "lustiges" (eh, sind sowas wirklich Witze?) erzählt.
Kann Langeweile etwa dazu führen, dass die Synapsen des "Kuttner"-Gehirns nicht mehr richtig
funktionieren? Nimmt die Zicke vor, in der Sendung oder ständig Drogen?
Ist MTV also ein Multiplikator ohne Sinn und Verstand, ohne Moral und Anspruch? - Denke: JA.
Wie dumm muss ein Publikum sein, um sich das gefallen zu lassen? - SO WIE DIE, DIE DA SITZEN.
Gestern gab's im ARD-TV-Programm die Sendung "die goldene Stimmgabel". Moderiert
von Dieter Thomas Heck. Irgendwie ist es auch verständlich, dass die Kuttners
so und nicht besser (geworden) sind... (26.9.2005, 22:41, Sea Wanton)

Zusatz: "Mieze" (Sängerin der "neudeutsch" Rock-Band MIA) und Nikolai KINSKI sind Studiogäste.
Weiter geht's mit dem Auffrischen der Erinnerungen...er will aber keinesfalls mit seinem Vater verglichen werden.
Vermute, Klaus hätte Sarah wenn nicht vor der Sendung, dann mindestens während jener angemacht und spätestens
danach "vernascht" - Gnade und Glück also für die "zu spät Geborene" Mademoiselle Kuttner..."I'm so nervous"
(Die Kuttner verhaspelt sich bei der Ansage, ist ja auch der neueste hype, den sie da mal wieder ankündigt).
Es spielt die Band ART BRUT. Die klingen wie HOLLYWOOD BRATS.
Mindestens 30 Jahre zu spät. Das Publikum applaudiert frenetisch.

"thank you so much...man muss wirklich deren Platte kaufen".
sagt uns Frau Kuttner - aber: por que?

---------------------------------------------------porque ?-------------------------
 
 
 


----------------------------------------------wirkungen------------------------------------
Sea Wanton (2003/2004)

<thesen zu : welche wirkungen haben unsere aktionen?>

Elektronische Musik kann nur geringfügig und auch nur selten den Eindruck von politischer
Relevanz erwecken. Wer nur etwas von Musik versteht, der (die) hat "nichts" (vom Wesentlichen)
verstanden. Und andere Sicht: wer aber versteht, der versteht nichts von Musik, n'est-ce pas?
Die Verzahnung musikalischer Ausdrucksformen mit den sog. "Wahrheiten des Lebens" mündet
doch immer wieder ins Agreement mit empirisch erfahrbaren sozio-kulturellen Strukturen.
So nicht hier.
NON TOXIQUE LOST (NTL) lässt Welten der Unangepasstheit, des Sichselberbeobachtens,
der Nachdenklichkeit, der Traurigkeit und der Ablehnung entstehen. Parallel zum Jetzt plaziert.

Gewollte Überzeichnungen führen Phantasie und Denken in Randzonen des Vorstellbaren.
Lassen den Zuhörer ratlos, auch irritiert. Verweisen oftmals auf Seltsames, seltsam Wildes.
Dass da welche hinter Stacheldraht vegetieren, zur gleichen Zeit der Sekt in Strömen fliesst,
scheint geschuldet der Vergänglichkeit des Lebens, mithin der Negation seiner Gleichwertigkeit.
Wenn das nicht hilft, wird vergessen und wer nicht vergisst, wartet bis "Gras = Kraut" über die Sache
gewachsen ist. Sucht uns! SIGA SIGA dröhnt die Trommel.
Ansonsten muss Geschichte wiederholt werden.

Was aber soll das alles in den "hi-fi" Boxen der Besserverdienenden, die immerfort dem
Zitat "Religion ist das Opium für's Volk" glauben wollen?

Die Philosophie unseres frischen,neuen Jahrtausends ist primär die Philsophie vom Kaufen und Verkaufen.
Da taucht plötzlich massenweise das CHE GUEVARA Konterfei in U-Bahn-Stationen
und auf Touristen-T-Shirts auf und es gibt Freikarten für Rock-Concerts zu gewinnen, wenn man weiss
"wo" CHE gestorben ist ! Nicht etwa: warum !

Doch plötzlich kommt es zum Vorstoss in die ureigensten Intimzonen deutscher Musik.
"Liebe" ist kein Privileg der "Love-Parade-Generation" und wird nötiger gebraucht als je zuvor.
Jetzt ist die Zeit der "everybody's darling"s, aha: mal wieder !

Nur milliardenschwere Kriege, computergesteuert via Satellit, werden den Zukünftigen von
den "nicht ganz so netten" Menschentagen Zeugnis sein. Ziemlich spassig, das Ganze.

----------------------------------------------wirkungen------------------------------------
 
 
 

        ----------------------------------------------über unsere freunde (about our friends)-------------------------------------

der verlust der äusserungsformen schreitet voran. nichts wird aufgehalten mit den
vorhandenen möglichkeiten. im gegenteil - die unbeschränktheit der zugriffe auf alle
bereiche des alltäglichen lebens suggeriert umso stärker die illusion von freiheit und
selbstständigkeit. der bezug zwischen alltag und politischem handeln gerät stärker in
das spannungsfeld von winner und looser.  vergnügtsein ist (nach wie vor) einverstandensein.
NTL kämpft gegen den verlust von veräusserungsformen. das leben im reichtum
in modernen industriellen gesellschaften ist bezahlt mit industriellen
produktionsbedingungen. menschlich sein bleibt verknüpft mit
dem wissen um die ausbeutung des planeten zugunsten - ja: uns.
die liedtexte bei NTL sind aussagen über die freiheit der
weltobjekte. eine verzahnung mit dem was wir als alltag bezeichnen ist
angestrebt (nicht etwa eine glorifizierung von
hochindustriellen (selten virtuelle) studiobedingungen).
die veränderung von bewusstseins-
systemen wird angestrebt und diesbezügliche anstrengungen werden unterstützt.
eine erniedrigung von objekten dieser welt wird
nicht toleriert. ashes to ashes.das ersticken in der konsumgüterindustrie
geht einher mit der vereinnahmung unserer freunde durch
die kulturindustrie. warum schreist du nicht ?
 
 
 
 


                                                                Franz Kafka, Auszug aus "Amerika"

                               karl blies, ohne sich vom lärm der anderen stören zu lassen, aus voller brust ein lied,
das er irgendwo in einer kneipe einmal
                               gehört hatte...viele frauen stellten das blasen ein und hörten zu. als er plötzlich abbrach,
war kaum die hälfte der trompeten in
                               tätigkeit. erst allmählich kam wieder der vollständige lärm zustande.
 
 
 
 


------------------------------------------press release of the organizers of the "ATONAL 2" festival in Berlin (1983)---------------------------

"ATONAL ist das unabhängige fest der nonkonformisten, atonale gelegenheit
für kreative musiker, maler, filmer und frisösen.
die stinkenden versuche eingebildeter zyniker und charaktermasken in den medien
und hinter den kulissen mit businessmethoden jeden ansatz etwas anderes zu tun
kaputt zu kriegen werden überlebt. ATONAL wird sich ihr orientierungsloses
bla bla nicht aufzwingen lassen. dagegen stehen die ernsthaft motivierten
musikalischen und künstlerischen zusammenarbeiten. ATONAL ist selber hören.
die freiheit eigene gedanken und urteile zu bilden und nicht in das miese,
vorgefertigte system der idioten einzusteigen.
ATONAL hören und sehen wir was wir brauchen um zu verstehen was wir tun.
ATONAL ist keine bequeme täuschung und kein vorschriftsmässiges einverständnis.
Es gibt eine neue art zu hören und zu sehen..." (adi atonal)
 

------------------------------------------press release of the organizers of the "ATONAL 2" festival in Berlin (1983)---------------------------
 


 

-----------------------------"Reichstag" lange nicht gebrannt----------------------------------------

"Reichstag" lange nicht gebrannt
von  Sea Wanton, 20.1.2006, Berlin

Müde tasten seine Augen den Horizont ab. Dort sind weder Bewegungen noch ein Lichtschimmer zu erkennen.
Nur das Flackern der vielen Kerzen brennt sich in das Scheibenglas.In der Ferne rührt sich - NICHTS.
Nachdem der letzte Docht erloschen ist, fährt er los. Er benutzt die eingebaute Fernsprecheinrichtung.
Er muss mit ihr reden. Niemand zu erreichen. Er entschliesst sich, im nächsten Tanzpalast seine Stimmung zu bessern.
Was feines, prickelndes zum Trinken, flotte Musik mit etwas Swing und tanzbarem Rhythmus.
Danach geht es zurück in die schmucklose Zweitwohnung. Ein einziger Anruf ist angekommen.
Der Anrufbeantworter schmeichelt seinem Gehör mit einem kühlen "auf Wiederseh'n".
Vielleicht...Überraschung (negativ): ein wütender Schlag auf den Hinterkopf. Er verliert das Bewusstseins.
Aufgewacht. Die Wolken fliessen an seiner Flugzeugkabine vorbei. Unten die Konturen der arabischen Halbinsel.
Sein Kopf vergraben zwischen den Schultern seiner Bewacher. Ein netter junger Mann spricht mit ihm.
Auf deutsch, Laptop, Anzug von "Armanie", unaufdringliches Rasierwasser. Fragt ihn nach Herkunft, Absichten, 
Ideen, Meinungen. Ohne erkennbaren Dialekt und ohne seine Personalien zu nennen. Ab und an werden die Fragen 
durch einen schmerzhaften Rippenstoss des linken Bewachers begleitet. Als ihm die Augenbinde endlich
abgenommen wird, sieht er den endlosen Sand vor sich. Seine Begleiter winken aus der Ferne, haben ihm 
aber zwei Wasserkanister überlassen. Der Weg zum Horizont scheint das Ziel, ist gesäumt mit
Skeletten, Totenschädeln. Schätzungsweise 30000 (in Worten: dreissigtausend). Irgendwo steht am Strassenrand
ein verwittertes Holzkreuz. 
eingeritzt: 1904. Doch 1933 erst sollte ein Brand einen kleinen Teil des "Reichstags"- Gebäudes zerstören.
Gegen Abend erreicht er die beste Kneipe der Stadt. Satelliten übertragen die Realität auf die überdimensional grossen Monitore.
Momentan singt ein grosser, stattlicher, ja, charmanter Mann ein Lied, er im "volkstümlichen Loden"-outfit.
Und sie strahlt ihn an, lustig ihr züchtiges Dirndlkleid wippend. Alle starren liebeshungrig auf Marianne's Decollte.
Unbeabsicht hat er die Fernbedienung berührt. Das Programm schaltet um und zeigte ihm ein Bild von "Carl von Ossietzki"
(im KZ "Oranienburg"). Das bekannte Bild. Ein altes Bild. Ein vergessenes Bild. Er fragt sich, wer denn der SA-Mann sei, der
da die Todesangst in das Gesicht des Opfers treibt. Er entschliesst sich diese Frage zu lösen, sobald er wieder "zurück" ist.
Sein Blick entflieht der Langeweile. Rote Stühle, rote Flaschen, rote Fenster - alles ROT ! "Die Farbe der Gefahr !" zuckt ein
Warnhinweis durch seinen Kopf. Doch "Rote Lippen soll man küssen.." summt die riesige Box in der Kneipenecke.
Langsam löst er seine Finger vom Wasserglas. Es saust nach unten und zerbricht am schmutzigen Kneipenboden.
Von links nähert sich eine unförmige Spinne und labt sich am kühlen Nass. Ihr Netzt flattert lustlos zwischen Tresenspiegel und
leeren Whiskyflaschen. Die Bedienung spricht ihn an. Was er denn wolle. Er antwortet: Geld, Macht und Liebe.
Gibt's hier nicht - kurze Antwort und er ist wieder allein. Er tritt hinaus in die Nacht. Der Blick wird gelenkt hin zur Mondscheibe,
die über der verträumten Stadt hängt. Er ist verstimmt, bestimmt. Müde ist er auch. Viele Nächte vorher hatten ihm Albträume den
Schlaf geraubt. Darin hatte er alles gesehen, alles gefühlt und doch keine Lösung gefunden. In der Vergangenheit gesucht, für die
Zukunft geplant. Ein leichter Schmerz im linken Lungenflügel macht ihm Sorgen. Seine Versicherungspolice würde Ende des Jahres
auslaufen. Ein Nagel bohrt sich durch seine Schuhsohle, verbreitet stechenden Schmerz.
Das sanfte Wehen des Windes verfängt sich in seinen Ohren. Schleicht sich in seine
Gehirnwindungen. Aufforderung dem Dschungel den Rücken zu kehren.
Es ist Zeit den Faden zu finden, den Weg zurück zu gehen. Der erste Teil des Wegs ist immerhin geschafft.
Das Ende seiner Welt ist erreicht - wieder einmal. Ein anderer Horizont. Vor dem sich meterhohe
Wellen auftürmen. Auf denen die kleinen Fischerboote taumeln wie Motten im Licht.
Wieviele junge Frauen werden heute abend vergeblich auf einen Kuss warten? 1?2?3?4?
Irgend jemand packt ihn am Ärmel, bedeckt den Schädel mit einem schwitzigen Stahlhelm. Schnürt um die Hüfte den 
Granatengurt, drückt die Panzerfaust in seine rechten Faust. Wenn sich der Panzer dann tausend Mal über 
seine Gefechtsstellung gedreht hat: würde man ihn dann so finden?
Er entschliesst sich das "Lager", die Seite zu wechseln.
Entledigt sich aller, seiner (dieser) Utensilien. Zieht aus dem nächsten Bankautomaten "frisches" Geld.
Verschafft sich Lackschuhe, Krawatte und Armbanduhr. Dazu einen schicken Smoking. 
Dann lässt er die Kinder (für sich?) kämpfen und töten.
 
  -----------------------------"Reichstag" lange nicht gebrannt----------------------------------------


 
 
 


-----------------------------T. Pargmann und C. Ressler:: Zur Geschichte von NTL----------------------------------------
  (2006, manuskript)

Zu Beginn der 80er Jahre formierte sich in Mainz die Band Non Toxique Lost. Namenspate für das Projekt war
der Kampfstoff Senfgas, der während des Ersten Weltkriegs von den deutschen Wissenschaftlern
"Lommel" und "Steinkopf" unter dem Codenamen "LOST" entwickelt wurde. Zwar verweist der Name
der Band auf den letztlich ‚ungefährlichen’ Charakter der Musik, doch fungierte auch Non Toxique Lost
als ein Mittel des Kampfes, den gegen die eingefahrenen Muster der damaliger Musikkultur.
[hervorgegangen aus Mitgliedern lokaler Mainzer Punkbands … Gründungsmitglieder waren Sea Wanton, .., ..
und Achim Wollscheid (S.B.O.T.H.I.) …] Später stiessen dann noch S. Schütze, der Bass,
Violine und elektronische Effekte spielte, dazu und P. Prieur, genannt "POGO", der
den Gesangspart übernahm. Auch wenn NTL oft der Neuen Deutschen Welle zugeordnet
wurden und zum Teil gar Einflüsse aus dem Jazz in die Musik hineingelesen worden sind, verstand
sich die Band in erster Linie im Kontext der Industrialbewegung. Als sich NTL im Jahr 1982
gründeten war ihre kompromisslose Herangehensweise an Musik maßgeblich inspiriert durch
Pioniere des Industrial wie Throbbing Gristle, SPK und Whitehouse. Aus diesen Einflüssen
entwickelten Non Toxique Lost ihren Sound zu einem hypnotischen Gespinst aus krachenden
Klangwänden, pulsierenden Synthesizern und zornigem Gesang, dass den Hörer in einen emotionalen
Sog zieht, der von Angst über Schmerz und Verzweiflung bis hin zu Wut und unbändiger Aggression führt.
Streckenweise sehr statisch und vorangetrieben von brachialen Rhythmen ist die Musik von NTL
kompromisslos hart und genau deshalb gewissermaßen eine Ausnahmeerscheinung im Deutschland
der frühen 80er Jahre. Parallelen zeigen sich eher bei Bands wie Pacific 231 aus Frankreich oder den
spanischen Esplendor Geometrico. Im Wesentlichen ziehen sich zwei maßgebliche Ideen durch das
musikalische Schaffen der Band: die Verarbeitung alltäglicher Erlebnisse verwoben mit einer
explizit politischen Haltung. Ein großer Einfluss kam hierbei von Joachim Stender, der zu dieser Zeit
unter anderem auch Mitglied bei P.D. war. Sein Talent, aus dem Stehgreif deutsche Texte über
Alltagserlebnisse zu verfassen und so das Konkrete und Direkte zu vermitteln, war ein geeignetes
Stilmittel die graue deutsche Realität jener Tage zu verarbeiten.  Doch anders als P.D. und
die späteren P16 D4  lehnten Non Toxique Lost es ab sich in einem künstlerischen
Kontext verorten zu lassen. Zwar gab es Bezüge zu zeitgenössischen Kunstbewegungen,
doch sollte die Musik kein Avantgarde sein, auch wenn das auf den außenstehenden Betrachter
so wirken konnte. Eher verknüpften NTL ihr Konzept von Musik mit der Idee mit vorhandenen
Mitteln kreativ zu arbeiten und neben Instrumenten auch unkonventionelle Klangquellen zu verwenden -
auch hier zeigte sich wiederum die Umsetzung des Konkreten und Alltäglichen. Gleichzeitig war die
Musik radikaler Ausdruck einer oppositionellen Haltung. Mit NTL setzte Sänger Sea Wanton die
Intention um eine Band zu gründen, die sich auf anspruchsvolle Weise mit dem sozialen und politischen
Stumpfsinn ihrer Gegenwart auseinandersetzte. Damit beabsichtigten NTL nicht nur eine Abgrenzung
von der damaligen Rezeption von Musik allgemein, sondern provozierten eine konkrete Auseinandersetzung
mit den verkrusteten Formen von Musikverständnis und Jugendkultur. So war die Band permanent mit
einem Umfeld konfrontiert, das tief in der Rockkultur der 70er Jahre verwurzelt war, öffentliche Räume
wie Kneipen und Jugendzentren waren geprägt von Hippies und drogendurchsetzter Gemütlichkeit.
Für ein Projekt wie Non Toxique Lost bedeutete dies den Kampf um neue Freiräume, keine Feindschaft,
aber die Notwendigkeit etwas Neues durchzusetzen. Gewissermaßen im Geiste der Punkbewegung zielte
die Philosophie der "Losts" auf Provokation und die radikale Umsetzung der eigenen Ideen. Konsequenterweise
erfolgte die Abkehr von den etablierten Mechanismen des Musikbusiness nicht nur im musikalischen Sinne,
sondern auch bei der Produktion und Vermarktung der Tonträger. So lag es für NTL nahe Kassetten
als Medium für ihre Musik zu wählen. Dieses war das Medium, bei dem die Musiker am ehesten die
Kontrolle über ihr musikalisches und gestalterisches Schaffen sowie eine direkte Vermarktung behalten
konnten ohne an der profitorientierten Maschinerie der Musikindustrie teilzunehmen. 1982 wurden die ersten
Aufnahmen auf dem eigens gegründeten Kassettenlabel „Can Can“ veröffentlicht, denen an die 30 weitere
Produktionen folgen sollten. Trotz dieses hohen Maßes an Produktivität, das vor allem Studio- und
Livematerial der Losts, aber auch etliche Kassettensampler mit internationalen Industrialbands umfasst,
blieben NTL und Can Can ein kreatives Betätigungsfeld, das nicht als Vollzeitbeschäftigung oder gar als
Lebensinhalt verstanden wurde. Eine erste, stark limitierte Vinyl-Veröffentlichung ließ so einige Jahre
auf sich warten. Die Stücke auf der 1986 erschienen LP ‚Wanton’, eine Auswahl von Material, das
bereits auf Kassetten erschienen war, drückt über weite Strecken eine eher subtile Härte aus, die
sich langsam in die Gehörgänge bohrt und von der Band selbst sehr treffend als „Industrial-Muzak“
bezeichnet wird. Im Gegensatz zu ihrem hohen Output an Tonträgern gab es nur selten die Gelegenheit
Non Toxique Lost auf der Bühne zu erleben.  Einige wenige Live-Performances fanden etwa in Mainz und
Trier, dem Recloose Festival 1985 in London, in Amsterdam, dem "Geminox-Festival" in Frankfurt oder dem
"Berlin Atonal 2 Festival"  statt. Doch obwohl insbesondere der Berliner Auftritt bereits 1983 großen
Anklang fand und positive Resonanz im Kreise gleichgesonnener Freunde Abstrakter Musik auslöste, blieben
NTL ihrer Linie treu und entwickelten keine Ambitionen ihre Vermarktungsstrategie zu ändern. Das Interesse
der Band richtete sich eher auf den Aufbau eines nationalen und internationalen Community von Interessierten
abstrakter und experimenteller Musik. Es gab ein kleines Netzwerk im Raum Mainz, Wiesbaden und
Frankfurt, etwa zum Umfeld des Selektions-Labels (P 16. D 4, S.B.O.T.H.I., etc.), das neben
freundschaftlichen Kontakten auch zu gelegentlicher personeller Zusammenarbeit in der Musik
(Sessions und Live-performances) führte. Weitere Kontakte wurden zu Graf Haufen in Berlin
aufgebaut und reichten bis nach Frankreich, England und Italien. Neben seiner Beteiligung bei
Non Toxique Lost publizierte Sea Wanton ab 1983 das Fanzine „Handbook Of Fun“, das als
Medium für subversive Kommunikation galt. Das Fanzine war ein Mittel zur Verbreitung
von Texten und Kollagen, die die Protesthaltung gegen etablierte Gesellschaftsstrukturen und
Kunstverständnis oder verkrustete Musikkultur aufzeigten und damit als eine gedruckte
Form dessen verstanden werden kann, was auch die Musik der Losts transportierte. Darüber
hinaus stellte das Handbook Of Fun ein Forum für experimentelle Musik dar, über das Kontaktadressen,
etwa zu anderen Kassettenlabeln oder interessanten Plattenläden, verbreitet wurden und so auch Teil eines
internationalen Netzwerks der Industrialszene der frühen 80er war. Non Toxique Lost begegnete
den eingefahrenen Mustern ihrer Umwelt mit einer radikalen Musikalischen Antwort, die, obwohl in einer
deutlichen/deutschen Sprache formuliert, jedoch nur von wenigen verstanden wurde. Man könnte sagen,
dass die soghafte, rhythmische Härte einiger Tracks - die mittlerweile bei zahlreichen Vertretern des
Industrial zu finden ist - einige Jahre ‚verfrüht’ war. Die Tatsache, dass die Musik bei den meisten
Hörern eher befremdliche bis verstörende Reaktionen zeigte, sowie die konsequente Veröffentlichungspolitik
und Verpflichtung gegenüber dem kulturellen Untergrund, sind vermutlich die Ursache dafür, dass die
Band bis heute weitgehend in Insiderkreisen bekannt geblieben ist. Doch obwohl oder gerade weil sich die
Hörgewohnheiten in den vergangenen Jahrzehnten gewandelt haben, hat die Musik von NTL als
Pionierleistung des rhythmischen Industrial in Deutschland ihren Reiz behalten. Seit einigen Jahren ist
Sea Wanton mit neuen Mitstreitern wieder als Non Toxique Lost aktiv. Während die Band sich dabei
mittlerweile aktueller Klangquellen wie Sampler und Computer bedient, bleibt sie nach wie vor der Idee
von elektronischer Härte und einer politischen Haltung verpflichtet und entfaltet so ihren eigenen
musikalischen Kosmos. Parallel dazu ist eine Auswahl von frühem Kassettenmaterial auf Vinyl
wieder veröffentlicht worden, die einen guten Überblick über das Gesamtwerk der Band vermittelt.

-----------------------------Zur Geschichte von NTL----------------------------------------
 
 
 


-------------------------------Zur Entstehung der „deutschen“ „industrial music“--------------------------------------

Titel: „Die Nadel durch den Kopf – heraus spritzt Schmerz und Blut“
           Zur Entstehung der „deutschen industrial music“, von Sea Wanton

Introduktion von LORENZ LORENZ
(liner notes auf: NON TOXIQUE LOST „Terre et Argent“, LP, 2005)

„An Sonntagen gab es Eier und Toast und im Hintergrund spielten BrahmsBeethovenBach.
Im Alter von fünfzehn interessierte ich mich für Rockmusik und ging in einen Plattenladen.
Ich war nicht sehr modern und kaufte etwas von Ella Fitzgerald, Cat Stevens und Bob Dylan.
Später, als ich bei Chuck Berry angelangt war, sagte ein Klassenkamerad: du solltest dir mal
die Clash anhören! Dann ging alles sehr schnell, Haare schneiden, Blondie anspucken, Punk-Manieren
zu jener Zeit, trampen nach London, aus der Schule geflogen, Musik gemacht. Mit allem, was in
die Finger fiel, Gitarren, Saxofone, Kinderspielzeug. Es gab den 1-2-3-4 Punk-rock, den
dadaistischen Pop und den Krach. Man nannte es Lärm oder „industrial“ und es war der letzte
Ausweg. Das Reich der Schmerzen. Es reinigte die Ohren und trieb alles aus. Tod als Freiheit.
Während Rhythmen und Takte im Free Jazz existierten, wurde hier alles gnadenlos zusammengewürfelt,
bis eine Mauer entstand. Ein Haus aus Lärm. Wie eine Muschel, die man sich ans Ohr hält, die alles
beinhaltet, Zen und die Kritik des Kapitalismus, aber mit mehr Lautstärke als das Rauschen des
eigenen Bluts. Es war eine Menge Spass, besonders wenn man’s selbst machte.
Aber zum Schluss ging es dem Publikum auf die Nerven."
 

2006 ist das Jahr, in dem die Band Throbbing Gristle an Silvester 2005/2006 in
der Volksbühne (Berlin) ihre Reformierung präsentiert – die Projektgruppe hat sich,
obwohl 1981 getrennt mit dem Slogan „the mission is terminated, wieder in Orginalbesetzung
zusammengefunden. Hat jetzt einen Vertrag mit dem „Mute“-Label arrangiert und dafür
auch eine neue CD (Titel: „PART TWO: THE ENDLESS NOT“)) eingespielen dürfen .

2006 ist auch das Jahr, in dem Wolfgang Seidel (ex-Drummer von Ton, Steine, Scherben) ein
weiteres „SCHERBEN“ Buch veröffentlicht. Bei der öffentlichen Vorstellung (Festsaal Kreuzberg, Berlin am
??? Jan 2006) kommt, wie auch im Buch angesprochen, immer wieder das Thema „Die Rechten lassen heute
bei ihren Veranstaltungen TSS Musik laufen“ zur Sprache. Auch im (aktuellen) sog. „industrial“ Bereich
sind immer wieder Personen/bands/projekte zu treffen, die mit ihrem Verhalten zumindest den Eindruck
erwecken, dass ihnen Gedankengut aus dem sog. '1000 jährigen Reich' nicht unsymphatisch ist. Mindestens
zwei Dinge sind also „schief“ gelaufen in einer „Bewegung“, die sich Anfang der 80er Jahre als Stachel
bisher selten/nicht gehörter Klänge und nicht gezeigter/gesehener Bilder  in das
zähfliessende deutsche Kulturleben einbohrte.
 

Das Aufkommen der „deutschen industrial music“ hatte sich in 1979 nur ganz leise und kaum wahrnehmbar
angekündigt: Mittagspause veröffentlicht eine Do-Single, wobei im Intro von „Testbild“ das quietschende
Geräusch eines Fotokopierers zu hören ist. Der prägnanteste Song der Platten ist „Ernstfall“, mit klarer
Absage von Peter Hein an Hippieträume und Esoterikerneigungen, Bongotrommler und Gitarren-fuzzler:
"zentrum der zivilisation...verbrannte erde schüsse in der nacht..ernstfall es ist schon längst soweit".
Der (ja, DER !) „Kritikerpapst“ A. Hilsberg findet“...witzige Texte zu einfachen, klaren, harten Rhythmen ;
kein Gitarrensolo kann die griffige Aktualität und Orginalität dieses Quartetts erreichen“ (1)

Und im Gemengelage von Avantgarde, Free Jazz, musique concrete (Neue Musik), Neue deutsche Welle
(NDW), New Wave, Punk (englischer, amerikanischer, deutscher Ausprägung), Rockmusik („Politrock“, „Hardrock“)
und „psychedelischer“ Musik enstehen nun immer mehr Projekte, die sich wenig um Einhaltung  der
„musikalischen Konventionen“ kümmern. Und wann immer möglich, die deutsche Sprache
gebrauchen, um ihre Texte an das Publikum zu richten.

Eines der bekanntesten Lieder der NDW heisst „Industrie-Mädchen“. Dort singt Harry Rag mit S.Y.P.H.
über eine neue Art von „industrieller“ Romantik, ein Liebeslied, das in einer modernen, versetzten, aber
humorvollen Art die Entfremdung der modernen Menschen in post-industriellen Gesellschaften
reflektiert. „Zurück zum Beton“ und „Lachleute + Nettmenschen“ (letztgenannter Song ist auch heute
noch im liverepertoire der Family Five zu finden !) sind zugleich Attacke gegen den „Zurück zur Natur“
Anspruch der Öko- und Grünenbewegung (der 80er) und Ausdruck des Unbehagens gegen die
„konfliktscheuende“ „Popper“ und „Yuppie“-Generation.

Extrem minimalistisch textet J. Stender, der Sänger der Band Messehalle, später auch Frontmann bei P.D.,
beim ersten live-Auftritt der Band:  “...bbbbb aaaaaa esesesese efffff BE –AHH-ESS-EFF“. Kurze Riffs, kurzer
Song: zum Schluss wälzt sich der Sänger auf dem blanken Parkettboden: man meint fast zu sehen, ja, zu spüren,
wie die mächtige Kapitalmacht des BASF-Riesen aus Ludwigshafen auf ihn einschlägt, ihn deformiert, einprügelt...

Noch sind die Musiker des „Jetzt, Hier und Heute“ nicht am Schubladendenken, an Kategorien wie E-Musik,
U-Musik, „Avantgarde“,„experimentell“, „Punk“ u.ä.  interessiert. Nicht einmal die Benennung in „neue deutsche Welle“
oder „neue deutsche Musik“ will den Meisten gefallen. Musik wird (noch !) nicht gemacht, nicht produziert, um zu verkaufen.

„Wir waren jung und wir brauchten das Geld...“ – noch war es nicht an der Zeit so zu denken !

Kein Schielen auf Charts, Hitlisten, sondern „Musikmachen“, „Musik ppräsentieren“ wird als wichtige Lebensäusserung
(für viele der Künstler ist sie sogar  DIE WICHTIGSTE !! ) verstanden. Nicht selten sind diese jungen
Musiker gleichzeitig auch oft „fanzine“ (=Magazine for fans) - Schreiber,
die in selbstverlegten Zeitschriften (meist sind das geheftete s/w Fotokopien) über
die Konzerte ihrer „Lieblingsbands“, eigene Auftritte und andere wichtige Themen berichten – subjektiv,
eingenommen, überzeugt (oft provozierend).

Für die Aufnahme der Songs für die „Fleisch“ EP-Single benutzt die Band "der Plan" nur, und dies bewusst,
ein einfaches Diktiergerät – ein Affront, ein klarer Verstoss gegen die Regeln des „üblichen“ Studiorecordings !
„... die Plan Geräusch-Collagen gehen nicht in die Beine, sondern wollen/können alle möglichen Gefühle ansprechen und
teils bedrohliche Assoziationen auslösen“ (2)

Auf der folgenden LP „Geri Reig“ präsentieren sich dann jedoch
die drei Düsseldorfer deutlich „depressiv, lustiger, fröhlicher“, indem Residents- und Kraftwerkeinflüsse
das Synthesizergewabber durchziehen.

Und die erste Single von Materialschlacht kombiniert Synthesizer-Geräusche mit verfremdeter/verzerrter Rockmusik
und gephasertem Gesang von Sylvia James, der in der provozierenden Phrase „BKA <-> GESTAPO“ ausartet.

Auch die Deutsch-Amerikanische Freundschaft (D.A.F.) startet mit einer noch den
traditionellen Rock-Instrumentarien
(Gitarre, Bass, Orgel/Synthesizer, Drums) verpflichteten „instrumentalen“  LP („Ein Produkt der D.A.F.“) und
wird damit in der deutschen Musikzeitschrift SOUNDS (10/1979) positiv rezensiert:
„...Eine Aneinanderreihung instrumental gespielter Kompositionen, Improvisationen, Versatzelemente...Momentaufnahmen,
zerrissene, rhythmisch betonte Improvisations-Ausflüge.“ (3) 

Es folgen Aufnahmen in England, bei der die Single „Gewalt“
den wohl deutlichsten Schockeffekt erreicht. Im Song „Die lustige Stiefel“ skandiert Sänger Gabi Delgado-Lopez
„... marschieren über Polen“ (auf der LP „Die Guten und die Bösen“) . Ein erster Versuch der Band, die hervorragende
Sequenzerarbeit von Chrislo Haas, später als „Staccato-Punk“ betitelt, und das extraordinäre Gitarrenspiel von
W. Spelmans durch provokante, plakative Formulierungen zu egalisieren.

Mittlerweile haben die Hersteller von Synthesizern, Sequenzern,
Vocodern und elektronischen Drum-maschinen eine
Vielzahl von günstigen Exemplaren für diesen „explodierenden Amateur-Musiker-markt“ zur Verfügung gestellt.
(z.B. den Synthesizer „KORG MS 20“, „MFB“elektronisches Schlagzeug, „Casio“-orgeln, das „Stylophon“, etc.).
Die ungeheure Faszination, die von diesen „experimentierfreudigen“ Instrumenten für die neugierigen Klangerzeuger ausgeht,
setzt eine zusätzliche „elektronische“ Welle in Bewegung. Gleichzeitig entstehen in Deutschland immer mehr „Cassettenlabel“,
auf denen gerade diese avantgardistischen, experimentellen Bands und / oder Projekte ihre ungeordneten und
un-kategorierbaren Sounds dem Publikum präsentieren.
Hier sind es die Labels von Graf Haufen (GRAF HAUFEN TAPES), den Musikern von P.D. (WAHRNEHMUNGEN),
Non Toxique Lost (CAN CAN), S.A.D.W. (CASSETTENCOMBINAT) und und... die den ernsthafte Produzenten
„experimenteller Sounds“ (wie z.B. auch A. Hacke (Borsig Werke) oder J. Arbeit (Leben und Arbeiten)) eine erste
Plattform für ihr Schaffen bieten – Musik nur auf Tonbandkassetten, die von eigens dafür gegründeten Vertrieben wie
KLAR! 80 (Reiner Rabowski in Düsseldorf) oder Cassetten und Zeitvertreib (Molto Menz in München)
deutschlandweit verkauft werden.

Dies ist nicht zuletzt als Folge davon, dass auch immer mehr „etablierte“, alternative Labels wie ZICK ZACK, NO FUN,
PURE FREUDE, ATATAK, etc.) das Interesse an den „schwer“ verkaufbaren Musikprodukten der
deutschen „acts“ verloren haben: die Single der Band  Träneninvasion  bei WARNING RECORDS ist eine
rühmliche Ausnahme. In der sog. „Kassettentäter“- Szene werden die Musikproduktionen jedoch in immer
ungezügelteren Varianten veröffentlicht. Im Gegensatz dazu orientieren sich die „erfolgreichen“ Bands „der ersten
Stunde“ nunmehr immer stärker an Verkaufserfolgen, Tanz – und Discomusik, Entertainment, Glamour und Leichtigkeit.
Aufspringen auf den  Zug, der rasende Fahr in den den Kunst- und Theaterbetrieb aufgenommen hat, z.B. die
„Documenta“, (einer 4-jährlichen Kunstausstellung in Kassel) ist nicht mehr länger verpönt –
das Scheitern der „Bewegung“ eine Sache von Tagen.

Eine dieser Bands nennt sich Einstürzende Neubauten und hämmert, prügelt auf Regentonnen, Stahlfedern ein,
was das Zeug hält, und der Frontmann Blixa Bargeld kreischt für den Untergang des Abendlands und malträtiert
die verstimmte Gitarre wie ein zum Tode verurteiler Junkie. Die Einstürzende Neubauten sind durch ihren Beitrag zum
A. Metzger (TV-Musikfilm, „1 Punk 36“) über die engen Berliner Grenzen bekannt geworden. Sie bedienen das
Publikum mit selbstgebautem Schlagwerk aus Schrott, Pressluftgehämmer, Todessehnsüchten und Gitarrenfeedbacks, live,
duster, im engen Erker unter einer (gesperrten?) Autobahnbrücke. Doch erst später werden sie mit ihrem
Song „YÜ-Güng“, der pochende, pulsierende, krasse „Tanzmucke“ offeriert, bekannt werden: ein ähnlicher
(kommerzieller) Erfolg wird sich bei D.A.F.s „Mussolini“ einstellen. Beide Songs treffen „den Nerv der Zeit“,
haben aber die Faszination des „Eckigen und Kantigen“ verloren.

Die „Zentralorgane“ (das sind die periodisch erscheinende Zeitschriften) der „neuen deutschen Musik“, nämlich die
deutsche Ausgabe der „SOUNDS“ und die „SPEX“ sind einem ähnlichen Lebenszyklus unterworfen: andersartige,
provozierende Themen geraten immer stärker in den Hintergrund (SPEX war sogar im DIN A 4 Format eines sog.
„fanzine’s“ gestartet). Die Beiträge vermitteln dem Leser immer stärker den Eindruck, als seien sie von den
Presseabteilung der (nun mittlerweile wieder erfolgreichen „etablierten“) Schallplattenfirmen selbst geschrieben worden –
immer weniger Chancen also für Kleinlabels und /oder ernsthafte „Soundtüftler“. D. Diederichsen (in SOUNDS ???) schrieb
1979 in seiner Rezension über die Single der Gruppe P.D., dass das Anhören der „Alltag“ –Single
etwa dem „Zuhören eines sprudelndem Wasserkochers entspräche....“
 

Noch hat der Begriff der „industrial music“ Deutschland nicht erreicht.
CABARET VOLTAIRE, CHROME, DEVO, LAIBACH, RESIDENTS,
THIS HEAT, THROBBING GRISTLE, SPK, WHITEHOUSE, Z’EV

Erst in 1980 habe ich Gelegenheit, die Namensgeber der „industrial music“ live zu erleben. Der damalige Kunststudent
R. Brunner hat in ROCK SESSION 6 („Lähmende Begegnung mit der Gewalt: Throbbing Gristle am 10.11.80 im
Frankfurter Städel“) deren Performance ausführlich beschrieben.  Zwei Konzerte hatte die Band schon in Berlin im „SO 36“
absolviert und damit auch der keimenden deutschen „industrial music“ wichtige Impulse gegeben.

Der „Kunstbetrieb“ begann sich jetzt also ernsthaft für das Genre „industrial music“ zu interessieren. Dessen adäquate,
aufregende Provokationsmechanismen übertrafen jene der „Punk-Bewegung“, da sie kompromisslos(er), als endlich !!
„endgültig“ dargeboten wurden. Bisher waren die Vertreter der Avantgarde,aus dem Bereich “Neue Musik“ bzw.
„musique concrete “ (z.B. K.H. Stockhausen oder John Cage) durch ihre reichlich „unkonsumierbaren“ Kompositionen als
Endpunkt der Konsumierbarkeit, und damit auch der medialenVermarktbarkeit, angesehen worden. Pierre Henri hatte lange
vorher vergeblich versucht, mit Spooky Tooth (LP: CEREMONY) eine Synthese aus psychedelischer Rockmusik und
Avangarde herzustellen – ebenso vergeblich, wie das Werk der Electric Prunes (LP: „Mass in F Minor“). Pierre Boulez,
Pierre Schaeffer, etc. hatten die Begegnung mit der neuen U-Musik (Rockmusik) noch nicht einmal probiert.

In den 60ern waren Pink Floyd mit ihren psychedelischen Klangkapriolen,
den Drogenexzessen des „masterminds“ Syd Barret
und ihren „LSD-geschwängerten light-shows“ vorbeigezogen. Frank Zappa hatte mit den Mothers of Invention und
den extraordinären Tonbandmanipulationen die Erinnerungen an den genialen Sound-Tüftler
E. Varese aufleben lassen („Lumpy gravy“ – Part 2 of „We are only in it for the money“). Die Velvet Underground
hatten bei „Sister Ray“ (auf der LP „White Light White Heat“) Monotonie, Lärm, Musik, Simplizität, Rückkopplungen,
Chaos und Struktur ausgiebig zelebriert. In Deutschland trat Achim Reichel aus dem Schatten
der „Beat-Generation“ heraus, als er die (experimentelle) LP „Die grüne Reise“ veröffentlichte – wilde
Studioexperimente, ein einziger Drogenrausch. Auch Hawkwind hatte endlos lange, oft dissonante
Improvisationen,  „spaciges“ Synthi-geschraube, angereichert mit zischenden, pfeifenden, blubbernden
Synthesizerquietschern, abgeliefert. Gleichzeitig hatten die Projekte, die sich entlang der „Punk“
Bewegung etabliert hatten (z.B.Sex Pistols, Clash, P.I.L.) reichlich Provokationen und Denkanstösse,
Beleidigungen (zu hören z.B. auf der „Carry On“ LP der Sex Pistols) und Musik-„attacken“ von sich gegeben.
Diese Projekte hatten sich im Fangnetz des Kunst- und Modebetriebs wiedergefunden oder waren sogar durch
jene selbst „initiiert“ worden : die  Einflussnahmen von z.B. Andy Warhol, Vivian Westwood und
J. Reid sind des öfteren ausgiebig beschrieben worden.

Mitte der 70 er hatte Joy Division zudem der Langweiligkeit, architektonischer Monotonie und der sozialen
Tristesse der englischen Industriestädte musikalischen Ausdruck verliehen. Mit der Pop Group Single
„We are all prostitutes“ war indessen auch klar, dass politisch motivierte Musik bereit war, sich der
Wahrheit des Kunstbetriebs zu stellen: alles andere war Lüge. Als Gegenpol zu dieser schonungslosen
Einsicht wurde in „don’t sell your dreams“ (auf der LP „Y“) aber auch die Grenze, die moralische Verpflichtung, eingefordert.

Wire (laut, monoton, düster, depressiv, disharmonisch).
Clash (trotz CBS Vertrag mit „SANDINISTA“ doch deutlich politisch).
Devo (Musik und Show zugeschnitten auf „Maschinenmenschen“ / Kyborgs).

Zum Beginn der 80 er Jahre war in der sog. „POP“-Musik, aber auch in der „happy“
New Wave Musik wenig zu spüren in Richtung des bevorstehenden „1984“ (George Orwell) Datums.
Waffenexporteure argumentierten weiterhin (unverhohlen) mit (prognostizierten) Arbeitsplätzen und
die (meist negativen) Ereignisse aus/in der jüngsten deutschen Vergangenheit (Drittes Reich, RAF, etc.)
fanden auch weiterhin kaum Eingang in veröffentlichte künstlerische Exponate. Konsequentes
Nichtbeachten sexueller Abartigkeiten, nekrophiler Neigungen, etc. etc. vermied Konflikte:
„was nicht zu sehen ist kann auch nicht sein“. Das Establishment in der postindustriellen Gesellschaft
hatte diese Themen der „Bild-Zeitung“ übergeben, um genüsslich beim Lesen der Horror-Meldungen
„Jakobs-Cafe“ zu schlürfen und sich mit dem Wegwaschen von „Grauschleiern“
(TV-Werbespot der Firma Henkel für ihr Wachmittel „FAKT) zu beschäftigen.

Der Besuch des KZ  Dachau, bei dem die Einstürzende Neubauten für einen Eklat in den
(aber nur bei den daran interessierten !) Medien sorgten, zeigte, dass „industrial music“ eben
NICHT nur Musik bzw. Anti-Musik war, sondern eine Lebenshaltung, gleichwohl eine sehr diffuse,
eine andere war, als man bisher gewohnt war zu rezipieren oder etwa gar selbst zu leben.  Hatten
frühere „Politrock“ Bands wie Floh de Cologne, Checkpoint Charlie oder Ton, Steine, Scherben
(LP: „Keine Macht für Niemand“) mit deutlichen sog. „revolutionären“ Texten agitiert, damit evtl.
sogar Unruhe beim „braven Bürger“ heraufbeschworen und versucht, Gleichgesinnte auf den
„revolutionären Kampf“ einzuschwören, so wurden bei „industrial music“ Besorgnis,
Betroffenheit, Abscheu, Ekel, diffuse Ängste durch Irritationen, durch das Andersartige erzeugt.
Begleitet wurde dies durch Outfit/Kleidung und seltsame, „verrückte“ Performance der Darsteller
mit einer (oft brutalen) aggressiven Darbietung der Musik, die sich dementsprechend als
„Krach“, “Geräusch“, „Klangteppich“, „ Geblubber“, „atonale Klänge“, „disharmonisches Gekreische“ etc. 
arstellte. Optisch wurde dieser Eindruck verstärkt, indem sog. „experimentelle“ Filme, Dias, Videoinstallationen, etc.
während des Auftritts vorgeführt wurden. Die australische Band SPK zeigte z.B. bei ihren Auftritten Filme,
in denen Szenen von Leichensezierung, Tierversuche, etc. zu sehen waren.

Das Prinzip des „Humors“ (Cosey van Tutti von Throbbing Gristle hat auf dieses „Stilelement“ bei TG-Musik
in einem Interview hingewiesen, unvergessen das Bild von Chris Carter mit ABBA Badge/Button am Jacketrevers)
fand dagegegen wenig Eingang in die eher „teutonische“ Ernsthaftigkeit von Klangerzeugern wie
Das Synthetische Mischgewebe oder Sprung aus den Wolken. Die Düsseldorfer/Hagen-Szene hatte
da weniger Berührungsängste (höchstwahrscheinlich ihrer freundlichen, rheinländischen „Art“ geschuldet)
und die Berliner „kaputt“-Szene erfand den Begriff der „Geniale Dilletanten“,
journalistisch vermarktet als „Die Berliner Krankheit“, wobei die die Projektgruppe Die Tödliche Doris
aufwartete mit der LP „7 Unfälle im Haushalt“ (???richtig) und andere ähnliche „Kleinode“ (noch heute ist unklar,
ob W. Müller von Die Tödliche Doris oder Blixa Bargeld von Einstürzende Neubauten den Begriff der
„Geniale Dilletanten“ erfunden hat – eine tödliche Dosis ist ebenso lustig wie der Verkauf des
„Weltrekord“-Labels (der Fehlfarben) an den Plattenkonzern E.M.I.). Wohltuende Ausnahme hierbei
der Avantgardemusiker Frieder Butzmann, der, obgleich sozial eingebunden bei den „genialen Dillettanten“,
doch schon seit Mitte der siebziger Jahre Techniken und Methoden der Protagonisten der „Musique Concrete“/Avantgarde
überführt hat in die Aufbruchsstimmung der 80er Jahre (Single: „Waschsalon Berlin“).

Ungeordnet, unorganisiert fanden in diesem Zeitraum auch Konzerte / Festivals statt, bei denen einige der u.g.
Projekte ihre (eigentlich nur studiotauglichen) Geräusch-eskapaden auch dem (meist konsternierten,
mit Unverständnis reagierenden) Publikum vorstellten:

„In die Zukunft“ (Into the Future) (HH), 1979)
Ffurs, PVC, Hinterbergers Wut, Kleenex, Male, Mittagspause, Deutsch-Amerikanische Freundschaft, S.Y.P.H.

„Shvantz Festival“ (F, 1979)
„Geräusche für die 80er“ (HH, Markthalle, 1980)
Abwärts, Razors, Salinos, Liebesgier, Coroners, Minus Delta T

„Belehrung und Unterhaltung“ (FU Berlin, 1980)
Mania D., Fehlfarben, P.D., Deutsch-Amerikanische Freundschaft (DAF)

„Berlin Atonal 1“ (SO 36, B, 1981)
EN, die tödliche Doris, Alexander Hacke

„Festival der genialen Dilletanten“ (Tempodrom, B, 1981)

„Berlin Atonal“  2 (Pankehallen, B, 1983)
Z'EV, CA LINGO LINE,  HEAD RESONANCE, C.I.F., HIDETO SAZAKIS DISCO TUNES,
LENINGRAD SANDWICH, GROENVIRKE, LA LOORA, LUCRATE MILK, PSYCHIC TV,
MANNAMASCHINE, TEMPLE OF PSYCHIC YOUTH / ZOS KIA,
NON TOXIQUE LOST, ROTHSCHILD ARMAMENT FORMATION,
DIDAKTISCHE EINHEIT, AKUSTIKTANZTHEATER

"Geminox Festival" 1984 (Frankfurt) (VHS video)
featuring: NON TOXIQUE LOST, NTH, 20 MIN., AFFAIRE GECCO,
CLUB MORAL, HYPNOBEAT, MIKE HENTZ, DER PLAN, EXIT OUT, MANNAMASCHINE
 

Gleichwohl wurden jedoch bei den neuen entstanden Bands der „deutschen industrial music“ oftmals „die Leistungen“
von Bands wie Can, besonders bekannt geworden durch „Spoon“, der Filmmusik zur TV-Sendung „Stahlnetz“
und Kraftwerk, die allerlei Klangexperimente absolvierten, bis sie schliesslich mit dem „eingängigen“
„Autobahn“ Song den richtigen Melodiebogen für das harmoniesüchtige „Elektronikpublikum“ fanden, 
anerkannt und ins eigene Repertoire integriert. Elemente der freien Impovisation, der atonalen Klangqualität,
monotone, exakte Rhythmusstrukturen bis hin zu kompletter künstlicher (Synthesizer) Tonerzeugung
suchten den Einklang, die Synchronität mit kaltem Neonlicht, Perspektivlosigkeit und eingestandener Machtlosigkeit.
Direkt daneben wurden Ideale angemahnt, emotionale Nähe gefordert. Das Unvereinbare war zu vereinbaren,
die Vereinbarkeit konnte als unvereinbar demaskiert werden – manchmal auch nur mit Slogans wie
„Gestern stand ich vor dem Abgrund – heute bin ich einen Schritt weiter“. In der  deutschen „Kunstlandschaft“
(Dichter und Maler)  hatten sich mitlerweile „die jungen Wilden“ (Kippenberger, R. Goetz, et al.) medial
vorgearbeitet: J. Beuys und William E. Burroughs, die DADA Bewegung, der Siuationismus, etc. wurden benutzt,
geplündert, die Wirklichkeit öffnete sich wie (damals) die Schatzkammer für Ali Baba – man musste nur eintreten.
Das Prinzip des „Ekklektizismus“ war auf die Überholspur gewechselt und war an dem Prinzip der „Orginalität“
vorbeigezogen: nichts war verboten, alles erlaubt: Musik konnte mit allem kombiniert werden.
Alle Musik konnte mit aller Musik kombiniert werden.
 

Ablehnung der Vereinnahmung, Ablehnung von musikalischem Handwerk, anarchistische Tendenzen,
deutsche Texte, Eigeninitiative, Mut zum Experiment, Heterogenität, keine Zugehörigkeit zu einer
politischen/musikalischen Bewegung, Lust an ständiger (musikalischer?) Veränderung, Punk-Outfit:
schwarze Kleidung, Lederjacken oder wild zusammengewürfelte Mode und stilistische und
rechtliche/wirtschaftliche Unabhängigkeit von der Plattenindustrie sind die in der Literatur
genannten Merkmale, die die orginäre Schnittmenge zwischen der „NDW“, 
dem „deutschen Punk“ und der „deutschen industrial music“ bildeten.

1982 entstand die Band Non Toxique Lost. Ein französischer Fanzine Schreiber sah die Band
bei ihrem Auftritt beim „ATONAL 2 Festival (Berlin, 1983“) und kategorisierte
die Geräusche kurz: „...primal industrial punk“

????Namen aller Bands ????

Von ca. 1979-1986 hatten folgende „deutsche“ Bands Elemente von „industrial music“
in ihrem Reportoire (zumindest in der Anfangsphase ihres Bestehens):

Butzmann & Sanja, Das Synthetische Mischgewebe, Der Plan, Deutsch-Amerikanische Freundschaft (D.A.F.),
Die Krupps, Die tödliche Doris, Einstürzende Neubauten, FaLX cerebRi, Hapunkt Fix, FAUST ???,
Gerechtigkeitsliga, Materialschlacht,
Minus Delta T, Non Toxique Lost (NTL), P.D. ->P16.D4 ->S.B.O.T.H.I.,
SPRUNG AUS DEN WOLKEN (SADW), S.Y.P.H.

Einige dieser Bands sind noch heute aktiv.

Keine davon hat Throbbing Gristle bei ihrem Silvesterauftritt 2005/2006 (s.o.) „begleitet“.
 
 
 
 
 

Konzerte (deutsche Veranstaltungsorte): Ratinger Hof (D), Batschkapp (F), Markthalle (HH)
Risiko (B), Metropol (B)

(Vinyl) Vertriebe (deutsche Shops): DER ZENSOR, UNTERM DURCHSCHNITT, RIP OFF, EIGELSTEIN,
EISENGRAU, SCHEISSLADEN, AUS LAUTER LIEBE (HH)
 

AR/GE GLEIM: GUTER ABZUG. Eine Dokumentation der neuen deutschen Musik. 1982
 
 

Medienleute:
A. Hilsberg,
D. Diederichsen
D. Hegemann („DIMITRI LENINGRAD“)
Inga Gecco
W.E. Baumann
Hartmann
J. Kramer
J. Ploog
 

Literatur:

BAD ALCHEMY Nr. 6 (Hrsg.: R. Dittmann), 1986
ROCK SESSION 4, 1980
ROCK SESSION 6, 1982
ROCK IN DEN 70ern (Hrsg.: Tibor Kneif), 1980
SCHERBEN (Hrsg.: Wolfgang Seidel), 2005
TESTCARD 3/1996 „SOUND“, 1996
WIR WAREN HELDEN FÜR EINEN TAG (Hrsg.: Hollow Skai), 1983
ZURÜCK ZUM BETON, 2002
 

Fussnoten:
(1) Rocksession 4, S. 234
(2) Rocksession 4, S. 234
(3) Rocksession 4, S. 234
 

Hörbeispiele:

DAS SYNTHETISCHE MISCHGEWEBE

DER PLAN „Fleisch“ EP-single, „Geri Reig“ LP
Skurile Mischung aus KRAFTWERK und RESIDENTS auf „Geri Reig“

DEUTSCH-AMERIKANISCHE FREUNDSCHAFT (D.A.F.)
„Ich und die Wirklichkeit“ (EARCOM Sampler Beitrag)
„Kebabträume“ und „Gewalt“ (Single, Mute)
„Ein Produkt der D.A.F.“
„Die Kleinen und die Bösen“ LP

DIE TÖDLICHE DORIS
„die 7 tödliche Unfälle im Haushalt“

Mittagspause
(Doppel-EP) mit „Testbild, , 3x Nordpol, Intelnet, x-9200, Militürk, Innenstadtfront, Deutschland, Derendorf, Überblick, In der Tat, Ernstfall

NON TOXIQUE LOST
„Wanton“, LP, CAN CAN

P.D.
„Alltag“ und „Schweigende Mehrheit“, Single
LP ???? erste

P16.D4.

S.Y.P.H.
„Industrie-Mädchen“, Europa, Moderne Romantik, Klammheimlich  (EP-Single)
  

-------------------------------Zur Entstehung der „deutschen“ „industrial music“--------------------------------------








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Thomas Beck (2003)
Zum ersten Mal las ich über NON TOXIQUE LOST (NTL) in dem deutschen Musikmagazin SOUNDS.
Dort besprach SEA WANTON alias GEN 82 Kassettenproduktionen. Für mich, der selbst auf Kassette produzierte
Musik herausbrachte, ein Lichtblick. Hier tummelte sich die wirklich kreative Szene, denn Anfang der 80er Jahre war
es unglaublich teuer und schwierig gute Schallplatten zu machen. Auch die "Industrial-Szene" war hauptsächlich
eine "Kassetten-Szene", bot dieses Medium doch die Möglichkeit, spontan, direkt und in einer selbstbestimmten
Auflage bei geringem finanziellen Risiko die Auflage zu bestimmen. Es wurde selbst vertrieben und die dabei
entstandenen Kontakte entwickelten sich nicht selten zu Freundschaften. Oft waren diese Kassetten liebevoll
aufgemacht. NTL brachten einige Kassetten heraus, dazu die LP "WANTON", und war somit eine typische
"Kassetten-Band": selbstproduzierte, im Übungsraum aufgenommene Stücke fanden ihren Weg heraus aus der Isolation.
Dabei waren NTL eine Band, die auch Konzerte in London (u.a. mit BOURBONESE QUALK),
Amsterdam (mit P16.D4), Frankfurt (u.a. mit DER PLAN) und Berlin (u.a. mit PSYSCHIC TV
und ZOS KIA) absolvierte, was keine Selbstverständlichkeit bei Gruppen mit hauptsächlich
elektronischen Geräten war (damals gab es noch kein MIDI). GEN 82 brachte sogar ein Kassetten-Fanzine
mit dem Namen "GUTE UNTERHALTUNG" heraus, und das eigene Kassetten-Label "NEUER FRÜHLING"
veröffentlichte (autorisierte) Live-Aufnahmen auch von THROBBING GRISTLE, SPK , DAF,
SUBURBAN PUNX, PD und anderen... Das international Herausragende von NTL war (und ist)
ihr politisches Bewusstsein. Die Texte waren oft von einer Eindringlichkeit, die damals, und auch heute noch,
selten ist. Inspiriert von Industrial, Punk und kritischer Theorie entwickelten NTL eine populäre Energie,
die etwas abseits der eher konzeptionell geprägten Gruppen wie P16.D4 lag. NTL arbeiteten in Mainz,
wo auch Achim Wollscheid (heute Labelchef von SELEKTION) damals künstlerisch tätig war.
Aus dieser Phase stammen auch die meisten Stücke auf dieser lp, die wohl die kreative Energie
und den Willen zur Eigenständigkeit dokumentieren.
Gute Unterhaltung !


Lorenz Schröter (LORENZ LORENZ) (2003)
<Höre unter Schmerzen>
Sonntags gab es Eier und Toast und im Hintergrund spielte BrahmsBeethovenBach. Mit fünfzehn wollte ich
Rockmusik und ging in einen Plattenladen. Ich hatte keine Ahnung und kaufte Ella Fitzgerald, Cat Stevens und
Bob Dylan. Später, ich war inzwischen bei Chuck Berry angelangt, meinte ein Klassenkamerad: Hör dir mal die
Clash an. Dann ging alles sehr schnell, Haare abschneiden, Blondie bespucken, das war damals so Punkbrauch,
nach London trampen, von der Schule fliegen, Musik machen. Mit allem was so herumlag, Gitarren, Saxophon,
Kinderspielzeug. Es gab den one-two-three-Punkrock, dadaistischen Pop und Krach. Das hieß damals Noise
oder Industrial und war die letzte Ausfahrt. Das Reich der Schmerzen. Es putzte die Ohren durch und verjagte alles.
Der Tod als Freiheit. Wo beim Free Jazz noch Rhythmen und Wechsel waren, wurde alles gnadenlos mit Cluster
zugemörtelt bis eine Wand stand. Ein Haus aus Lärm. Wie bei einer Muschel, die man sich ans Ohr hält, war da
alles drin, Zen und Kapitalismuskritik, nur sehr, sehr viel lauter als das eigene Blutrauschen. Das machte Spaß,
besonders wenn man es selber machte.
Den Zuhörern ging es dann doch irgendwann auf die Nerven.



Cem Oral (AIR LIQUIDE, JAMMIN' UNIT) (2003)
Ich glaube das war mein erstes "elektronikkonzert" meiner musikerlaufbahn. Da war ich schon sehr aufgeregt.
Normalerweise hatte ich als bassist immer einen ruhigen job, und jetzt so seite an seite mit SEA WANTON vor
sooo vielen fremden?! Denn der auftritt fand in amsterdam statt (im N.L. CENTRUM, von STAALPLAAT veranstaltet, 1985).
Also auch noch mein erster internationaler bühnengang. Auf jeden fall war es super! Ich hatte mir massenweise
kassetten mit geräuschen, zitaten und scapes aus funk und fernsehen zusammengestellt, die ich durch meinen
korg ms-20 synthesizer jagte. Dann noch etwas echo, und mein persönlicher psychotrip war perfekt. Zusammen mit SEA und
Heiko Wöhler lieferten wir eine schön krasse show ab. Auch wenn ich nach dem
konzert vom veranstalter als zu krasser deutscher (ich bin halb türke halb finne hehehe), die nächstes mal garantiert nicht
mehr dabei sein werde, belohnt wurde, glaube ich ganz sicher, dass ich ohne diese erfahrung mit meinen zukünftigen
projekten nicht so experimentierfreudig und mit einer gesunden "leckt mich"- haltung umgegangen wäre.


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